Eine kritische Betrachtung der prognostizierten Schiefergasförderung in den USA


Autor: Philipp M. Richter

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

Publiziert:  21. Februar 2014



Diese Arbeit ist als DIW-Diskussionspapier veröffentlicht: Richter, Philipp M. (2013). From Boom to Bust? A Critical Look at US Shale Gas Projections. DIW Discussion Paper No. 1338. DIW Berlin.

Kernaussagen

  • Im Aufsatz werden die aktuellen optimistischen Prognosen der USA zur Produktion von Schiefergas kritisch betrachtet.
  • Die Schätzung der amerikanischen Schiefergas-Ressourcen ist möglicherweise zu hoch aufgrund einer Extrapolation nicht repräsentativer Produktionsdaten.
  • Die steigende Anzahl von Bohrungen führt vermutlich zu einer Veränderung der öffentlichen Akzeptanz und der relevanten Gesetzgebung.
  • Die Simulation einer geringen US-Produktion von Schiefergas zeigt veränderte Handelsströme von Erdgas und einen niedrigeren Verbrauch in Europa und Asien.
  • Die US-Exportkapazität von Flüssigerdgas wird nur benötigt, wenn die Produktion von Schiefergas in den USA weiterhin schnell steigt.

Kurzfassung

Im vergangen Jahrzehnt haben die USA einen unerwarteten Anstieg bei der Erdgasproduktion erlebt. Seit 2005 ist die jährliche Produktion um ein Drittel gestiegen und hat 2012 ein historisches Level erreicht. Dieser Anstieg der inländischen Produktion ist fast gänzlich auf einen Boom bei der Förderung von Schiefergas zurückzuführen, weil technische Fortschritte und die gemeinsame Nutzung der horizontalen Bohrung und der hydraulischen Frakturierung eine wirtschaftliche Produktion von Erdgas aus Schieferformationen ermöglicht haben. Außerdem wird erwartet, dass sich dieser vor kurzem erfolgte Anstieg der Produktion von Schiefergas in den USA fortsetzt, was wichtige Auswirkungen auf die US-Handelsbilanz hat. Statt zukünftig abhängig von den Erdgaslieferungen aus dem Ausland zu sein, was noch vor weniger als einem Jahrzehnt prognostiziert worden ist (z. B. EIA, 2005), wird nun erwartet, dass die USA ein wichtiger Exporteur von Flüssigerdgas (LNG) werden (z. B. IEA, 2012a oder EIA, 2013a).

Auch wenn sich der Boom der Schiefergasförderung zum Teil auf ein realisiertes Wachstum bei der Produktion stützen kann, ist aus drei Gründen zweifelhaft, ob er sich fortsetzen wird. Erstens gibt es eine Unsicherheit bei der Menge an Schiefergas-Ressourcen, die technisch abbaubar sind. Zweitens steht nicht fest, inwieweit US-Schiefergas wirtschaftlich produziert werden kann. Drittens kann die Akzeptanz in der Öffentlichkeit schwinden, und sich die gesetzlich geforderten Auflagen verschärfen.

Schätzungen der technisch abbaubaren Schiefergas-Ressourcen hängen entscheidend von den jeweiligen Annahmen zur potenziellen Fläche der Schiefergasförderung, zur Dichte der Bohrungen und zu der geschätzten letztendlichen Abbaurate je Lagerstätte ab. Alle diese Faktoren sind äußerst unsicher. Im Wesentlichen wird für die Extrapolation der technisch abbaubaren Schiefergas-Ressourcen auf historische Daten zur Produktion zurückgegriffen. Da allerdings die aktuelle Produktion vorrangig an den ertragreichsten Schieferformationen erfolgt, liegen die Schätzungen für die technisch abbaubaren Schiefergas-Ressourcen möglicherweise zu hoch, was auf die Extrapolation nicht repräsentativer historischer Produktionsdaten zurückzuführen ist.

Außerdem beschreiben diese Schätzungen das technische Potenzial, nicht die wirtschaftlich zu produzierenden Mengen an Schiefergas. Zwar sind die vor kurzem prognostizierten Produktionsmengen durch die derzeit geschätzten Ressourcen gestützt, jedoch sind diese Prognosen der amerikanischen Energieinformationsbehörde (EIA, 2013a) sehr optimistisch. So würden bis 2040 etwa 60 % der derzeitig geschätzten technisch abbaubaren Schiefergas-Ressourcen abgebaut. Dies entspricht einer kumulativen Produktion, die fast dreimal so groß ist wie die derzeit nachweislich existierenden Schiefergas-Reserven. Angesichts der weltweit im Überfluss vorhandenen konventionellen Reserven, muss sich erst noch erweisen, wie wettbewerbsfähig US-amerikanisches Schiefergas auf dem internationalen Markt sein kann. Die treibenden Kräfte für die derzeitigen hohen Produktionsmengen sind kurzfristiger Natur, wie z.B. der Wechsel zu produktiveren Schiefergas-Ressourcen. Um eine hohe Produktion von Schiefergas auch in Zukunft aufrechterhalten zu können, müssten Erdgaspreise ausreichend ansteigen. Daher kann für die US-amerikanische Schiefergasproduktion der komparative Kostenvorteil gegenüber Erdgaslieferungen aus konventionellen Quellen in anderen Regionen der Welt verloren gehen.

Schließlich müssen immer mehr Bohrungen durchgeführt werden, die große Flächen beanspruchen und sich negativ auf die Umwelt auswirken. Wenn man die durchschnittlich geschätzten Abbauraten auf die gesamten US-amerikanischen Schiefergasvorkommen anwendet, werden in den nächsten drei Jahrzehnten bis zu 360.000 Bohrungen benötigt, um die prognostizierte kumulative Produktion zu erreichen. Jedoch wird diese Entwicklung durch eine schwindende Akzeptanz in der Öffentlichkeit und strengere Regelungen erschwert. So schränken etwa weniger für die Produktion von Schiefergas freigegebene Flächen oder eine geringere Dichte der Lagerstätten zukünftige Möglichkeiten der Produktion ein. Änderungen der Regelungen erhöhen die Versorgungskosten bei der Schiefergasproduktion und verringern im Allgemeinen die Verfügbarkeit der Ressource. Die IEA (2013b, S. 118) stellt ebenso fest, dass sich jede negative Änderung der im Allgemeinen günstigen Rahmenbedingungen in den Vereinigten Staaten substanziell auf die Perspektiven der Schiefergasförderung auswirkt.

Daher werden hier unter Berücksichtigung dieser kritischen Einschätzung zwei alternative Szenarien numerisch simuliert, die von den optimistischen Prognosen für die Förderung von US-Schiefergas abweichen. Das erste Szenario geht von einer starken Verringerung der Produktionsmengen bei Schiefergas ab dem Jahr 2015 aus; das zweite Szenario leitet sich von Produktionsmengen ab, die auf dem für 2015 prognostizierten Stand bleiben. Diese Simulationen dienen insbesondere dazu, die Auswirkungen der US-Schiefergasproduktion auf den US-Markt und den internationalen Handel mit Erdgas zu untersuchen sowie den anschließenden Ausbau der Infrastruktur. Zu diesem Zweck wird das Global Gas Model (GGM) benutzt: ein umfangreiches partielles Gleichgewichtsmodell, mit dessen Hilfe Handelsstrukturen und Infrastrukturausbau in der Wertschöpfungskette für Erdgas analysiert werden können.

Eine Verringerung der Produktionsmenge an US-amerikanischem Schiefergas wird teilweise durch eine Steigerung der Erdgasproduktion außerhalb der USA ausgeglichen. Allerdings führt dies in erster Linie zu einem geringeren Verbrauch an Erdgas im Vergleich zum Referenzszenario, so z.B. in den USA, aber auch in anderen Ländern. Insbesondere in den USA wird die niedriger angenommene Produktion durch steigende Importe teilweise kompensiert. Aus Südamerika und Afrika werden Handelsströme von Flüssigerdgas in die USA umgeleitet, die mit europäischen und asiatischen Ländern im internationalen Wettbewerb um Flüssigerdgas stehen. Die bestehende US-Importkapazität für Flüssigerdgas wird stärker genutzt und sogar ausgeweitet, um regionalen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Abschließend lässt sich sagen, dass eine kritische Bewertung aus mehreren Gründen notwendig ist – sowohl für das geschätzte Potential an Schiefergas-Ressourcen als auch für die prognostizierten zukünftigen Produktionsmengen. Insbesondere die Wahl der Investitionen in die globale LNG-Infrastruktur wird stark durch die zukünftige US-Schiefergasproduktion beeinflusst. Die derzeitigen Erweiterungen der Exportinfrastruktur für Flüssigerdgas wird nur benötigt, wenn die US-Schiefergasproduktion weiterhin stark ansteigt. Die Lizenzen sollten unter Berücksichtigung der erwähnten Unsicherheiten vergeben werden. Im Gegensatz zur derzeitigen Debatte zum Bedarf einer umfangreichen US-Exportkapazität, wird die bestehende US-Importinfrastruktur für Flüssigerdgas genutzt und möglicherweise sogar erweitert, falls sich die Hoffnungen, die in die Schiefergasproduktion gesetzt werden, langfristig nicht erfüllen.

Referenzen

EIA (US Energy Information Administration). 2005. Annual Energy Outlook. EIA, US Department of Energy. Washington, DC.

EIA. 2013a. Annual Energy Outlook 2013. EIA, US Department of Energy. Washington, DC.

IEA. (International Energy Agency) 2012a. World Energy Outlook 2012. OECD/IEA, Paris.

IEA. 2013b. World Energy Outlook 2013. OECD/IEA, Paris.

 

Diese Arbeit wurde innerhalb des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Projekts "RESOURCES: International Energy Resource Markets under Climate Constraints - Strategic Behavior and Carbon Leakage in Coal, Oil, and Natural Gas Markets" ausgeführt.


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