Die Grundlagen - Induzierte Seismizität

Was ist induzierte Seimizität?

Seismizität bezeichnet die Erdbebenaktivität eines bestimmten Gebietes, d.h. die Häufigkeit und Stärke seismischer Ereignisse. Unter induzierter Seismizität versteht man in der Regel seismische Ereignisse, die durch bestimmte Vorgänge künstlich hervorgerufen werden. Dies kann z.B. durch menschliche Aktivitäten wie Bergbau, den Bau großer Stauseen, Flüssigkeitseinpressung in Gesteinsformationen zur Abwasserentsorgung oder durch Erzeugen künstlicher Fließwege durch Hydraulic Fracturing (hydraulisches Aufbrechen) in Kohlenwasserstofflagerstätten oder geothermischen Vorkommen erfolgen.

Diese Aktivitäten führen zu Veränderungen der Spannungen im Gestein, dem Porendruck, dem Volumen und der Belastung in unterirdischen Gesteinsformationen. Diese können zu einer plötzlichen Scherbewegung im Untergrund führen, wenn sich bereits vorhandene Scherspannungen an Schwachzonen (Verwerfungen oder Brüche) entladen.

Aktuelle deutschsprachige weiterführende Informationen zu induzierter Seismizität sind vor allem im thematischen Zusammenhang mit der Erdwärmenutzung entstanden. Siehe z.B. das Positionspapier des GtV-Bundesverband Geothermie e.V. Auf den Webseiten der Lawrence Berkeley National Laboratory Earth Sciences Division und der Durham University finden sich englischsprachige Informationen über induzierte Seismizität.

Wie unterscheidet sich induzierte Seismizität von natürlicher Seismizität?


Physikalisch gibt es keinen Unterschied zwischen induzierter und natürlicher Seismizität; beide sind durch Scherbewegungen an einer Verwerfung oder Bruchstelle gekennzeichnet. Oft lässt es sich nur schwer unterscheiden, ob ein bestimmtes seismisches Ereignis natürlichen oder induzierten Ursprungs ist; insbesondere im Fall mittlerer bis starker seismischer Ereignisse. Der Grund dafür ist, dass oft nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß das bereits vorhandene natürliche unterirdische Spannungsfeld durch einen zusätzlichen, von Menschen verursachten Beitrag verstärkt wurde. Eindeutige Regeln und wissenschaftliche Verfahren zur Unterscheidung zwischen natürlichen und induzierten Erdbeben sind bisher weder exakt definiert noch allgemein anerkannt.

Im Gegensatz zur natürlichen Seismizität (Hintergrundseismizität) ist induzierte Seismizität das Ergebnis menschlicher Aktivität. Der Hauptunterschied ist, dass die übergroße Mehrzahl der induzierten seismischen Ereignisse eine geringe Stärke hat. In der Regel ist die Erdbebenmagnitude kleiner als 0; das heißt, dass Menschen sie an der Erdoberfläche nicht wahrnehmen. In nahezu allen Fällen ist die maximale Stärke von induzierter Seismizität kleiner als die maximale Stärke eines natürlichen Erdbebens in einer bestimmten Region.

Wie stark können seismische Ereignisse bei der Schiefergas-Produktion sein?

Wenn wir über induzierte Seismizität im Zusammenhang mit der Schiefergas-Produktion sprechen, so müssen wir den Prozess desHydraulic Fracturing selbst und das mitunter praktizierte Einpressen von Rückfluss- oder Produktionswasser in Entsorgungsbohrlöcher berücksichtigen. Die große Mehrzahl seismischer Ereignisse im Zusammenhang sowohl beim Hydraulic Fracturing als auch mit der Abwasserentsorgung in Bohrlöchern liegt im Bereich der Mikro- oder Nanoseismizität (zur Definition siehe Tab. 1). Im Allgemeinen führt Hydraulic Fracturing zu niedrigeren maximalen Stärken als die Wasserentsorgung in Bohrlöchern.

Tab. 1: Überblick über Erdbebenmagnituden, Versätze, Intensitäten und durchschnittliche jährliche Vorkommen. 

Magnitude Klasse Versatz¹ Auswirkung² Vorkommen/Jahr³
8-10 Sehr stark 4-40 m zerstörend bis verwüstend ≥M8: 1*
6-8 Stark 0.4-4 m Zerstörungen großer Gebiete M7: 17**
M6: 134**"
4-6 Moderat 4-40 cm Merkliche Bodenbewegungen, schwere Schäden an Bauwerken einfacher Bauart möglich M5: 1319**
M4: 13000***
2-4 Klein 4-40 mm fühlbar, kann geringe Schäden verursachen M3: 130000***
M2: 1300000***
0-2 Mikro 0.4-4 mm gewöhnlich nicht fühlbar, keine Schäden
-2-0 Nano 4-400 µm nicht fühlbar
-4 to -2 Pico 4-40 µm nicht fühlbar
-6 to -4 Femto 0.4-4 µm nicht fühlbar


1Bohnhoff et al. 2010
, 2Details siehe: USGS Website, 3USGS; *Basierend auf Beobachtungen seit 1900; **Basierend auf Beobachtungen seit 1990; ***geschätzt.


Es gibt eine sehr große Anzahl von Daten und Berichten zu den Stärken von induzierter Seismizität durch Hydraulic Fracturing, wie es bei der geothermischen Stimulation und der unkonventionellen Kohlenwasserstoffproduktion durchgeführt wird. Die Studien zeigen, dass Hydraulic Fracturing eine große Anzahl kleiner seismischer Ereignisse auslöst, wobei die große Mehrheit der Ereignisse zu gering ist, um von den Geophonen auf der Oberfläche überhaupt registriert zu werden. Ein Beispiel einer Verteilung mikroseismischer Ereignisse während Hydraulic Fracturing  im Barnett-Schiefer ist in Abb. 1 gezeigt. Die maximale Stärke, die aufgezeichnet wurde, war -1,6 (negative seismische Magnituden gibt es, weil die Magnitudenberechnungen auf einer logarithmischen Skala basieren).

Abb. 1: Kumulative Häufigkeitsverteilung mikroseismischer Ereignisse unterschiedlicher Größe in einem Bohrloch im Barnett-Shale (Worldwatch Institute 2010).

Höhere maximale seismische Stärken wurden während (Ab-) Wassereinpressung mit hohem Druck und über lange Zeit in tiefe Bohrlöcher beobachtet (siehe Nicol et al. 2011, in englisch). Das liegt unter anderem daran, dass bei der Abwasserverpressung weit größere Flüssigkeitsmengen eingepresst werden als beim Hydraulic Fracturing. Außerdem erstrecken sich  Wasserverpressungen über Zeiträume von mehreren Monaten oder Jahren, während Hydraulic Fracturing innerhalb von Stunden oder maximal eines Tages beendet ist. Es ist zu beachten, dass im Fall seismischer Ereignisse von größerer Stärke mitunter nur schwer unterschieden werden kann, ob diese Ereignisse induziert wurden oder auf andere Prozesse zurückzuführen sind.

Lässt sich induzierte Seismizität bei Hydraulic Fracturing-Maßnahmen vermeiden?

Es gibt erfolgreiche Ansätze zur Minimierung des Risikos einer durch Flüssigkeitseinpressungen induzierten Seismizität. Sie finden Anwendung bei  der Wasserentsorgung in tiefen Bohrlöchern, der hydraulischen Stimulierung während geothermischer Operationen oder dem Hydraulic Fracturing von Kohlenwasserstoffvorkommen.

Die Geomechanical Study of Bowland Shale Seismicity zur Beurteilung ungewöhnlicher seismischer Aktivität in unmittelbarer Nähe einer Schiefergas-Bohrung in Frühjahr 2011 im britischen Lancashire schlägt Maßnahmen zur Minderung der Stärke seismischer Ereignisse vor. Zu den Empfehlungen gehörten ein rascher Flüssigkeitsrückfluss direkt nach dem Fracturing Vorgangund eine Reduzierung der Wassermenge. Hydraulic Fracturing sollte durch seismische Überwachung begleitet werdenund entsprechende Maßnahmen sollten ergriffen werden, wenn die seismische Magnitude den Grenzwert überschreitet, der durch ein sogenanntes Ampelsystem vorgegeben wird.

Das Protocol for Addressing Induced Seismicity Associated with Enhanced Geothermal Systems (EGS), das Anfang 2012 durch das U.S.-amerikanische Department of Energy (DoE) herausgegeben wurde, ist ein Best-Practice-Leitfaden zur Verringerung induzierter Seismizität während kurzzeitiger Hochdruck-Wassereinpressungen in geothermalen Vorkommen. Es fasst die Ergebnisse dreier internationaler Workshops zu diesem Thema zusammen und enthält eine ausführliche Beschreibung konkreter Schritte, die zum Minimieren des Risikos von induzierter Seismizität berücksichtigt werden sollten. Die Stimulationstechniken in geothermalen Systemen ähneln stark denen von Hydraulic Fracturing Operationen in Kohlenwasserstoffvorkommen. Darum bieten die in dem Protokoll vorgeschlagenen Schritte wertvolle Informationen für den Umgang mit induzierter Seismizität bei der Schiefergas-Erschließung.

Nach dem Auftreten von induzierter Seismizität durch hydraulic fracturing im Horn River Basin in Britsh Columbia, Canada, hat die Canadian Association of Petroleum Producers (CAPP, 2012) ebenfalls eine Anleitung zusammengestellt. Sie empfiehlt: a) die Bewertung von geologischen Störungen, Hintergrund-Seismizität und mögliche Fälle induzierter Seismizität in der Region, b) Aufzeichnung lokaler (Mikro-)Seismizität und c) angemessene Reaktion und verstärktes Monitoring im Falle erhöhter Seismizität.

Ein Beispiel, wie man das Risiko seismischer Ereignisse im Zusammenhang bei der Abwasserentsorgung in Versenkbohrungen verringern kann, wurde von Ake et al. 2005 (Zusammenfassung, in englisch) veröffentlicht. Die Autoren erarbeiteten die Beziehung zwischen dem Hervorrufen von Erdbeben und den Verpressparametern (Verpressrate, Pumpdauer und chemische Zusammensetzung des Verpressmittels) während einer groß angelegten,  Salzwassereinpressung über lange Zeit und in großer Tiefe im Paradox Valley, Colorado, USA. Die Ergebnisse dieser Analyse ermöglichten Veränderungen bei der Verpressung, um die Wahrscheinlichkeit größerer, Schaden verursachender Erdbeben zu minimieren.

Wie wird die induzierte Seismizität beim Hydraulic Fracturing gemessen?

Die durch Hydraulic Fracturing verursachte Seismizität wird, wie jede Seismizität, durch Netzwerke von  Seismometern aufgezeichnet. Da die durch Hydraulic Fracturing verursachte Seismizität von sehr geringer Magnitude ist, können nur in der Nähe platzierte Oberflächenseismometer oder Bohrlochgeophone diese Signale aufnehmen.

Um die durch Hydraulic Fracturing hervorgerufene Mikroseismizität aufzuzeichnen, wird ein Netzwerk von Seismometern an der Oberfläche nahe der Bohrung und – wenn möglich – in Beobachtungsbohrlöchern nahe dem Verpressbohrloch installiert. Das Öffnen von sehr vielen, kleinen Rissen im gasführenden Gestein während des Hydraulic Fracturings erzeugt Mikroseismizität, die gemessen und zum Überwachen der Rissausbreitung im Gestein verwendet werden kann. Im Gegensatz zu den üblichen (aktiven) seismischen Datenerhebungen, bei denen seismische Wellen durch eine seismische Quelle (zum Beispiel einen Vibrator auf einem Lkw) erzeugt werden, wird die hier verwendete Technik als Passive Seismische Überwachung bezeichnet, weil keine künstliche seismische Quelle zum Einsatz kommt.

Welche Risiken birgt induzierte Seismizität?

Wenn ein in geringer Tiefe stattfindendes seismisches Ereignis eine bestimmte Stärke übersteigt (Magnitude > ungefähr 3, siehe Tab. 1), so kann dies eine Bedrohung für die Sicherheit von Personen, Umwelt und Infrastruktur wie zum Beispiel Gebäude oder, im Fall der Schiefergas-Produktion, Ausrüstung auf Bohrplätzen darstellen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um natürliche oder induzierte Seismizität handelt. 

Hat induzierte Seismizität einen Nutzen?

Durch die Aufzeichnung der induzierten Seismizität bei der Rissentstehung im Untergrund kann die räumliche Ausbreitung der Risse nachvollzogen werden. Diese Information ist für die Betreiber einer Bohrung wichtig, weil sie jenen Teil in der Gesteinsformation definiert, dessen Durchlässigkeit erhöht wurde, um den  Gasstrom aus dem Gestein zur Bohrungzu unterstützten.

Was ist der Unterschied zwischen einem „seismischen Ereignis“ und einem „Erdbeben“?

Die Begriffe sind hinsichtlich ihrer Bedeutung austauschbar. Beide Begriffe werden in der wissenschaftlichen Literatur gleichermaßen im Zusammenhang mit induzierter Seismizität verwendet. „Seismisches Ereignis“ ist der allgemeinere Begriff, während der Begriff „Erdbeben“ oft seismische Ereignisse von größerer Stärke bezeichnet, die der Mensch wahrnehmen kann. Auf dieser Website wird der Begriff „seismisches Ereignis“ verwendet, da Seismizität in Verbindung mit Flüssigkeitseinpressungen bei der Schiefergas-Produktion in aller Regel im Bereich der Mikro- bis Nanoseismizität liegt. Diese Ereignisse werden vom Menschen auf der Oberfläche nicht wahrgenommen und verursachen keine Schäden.


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