Kommentar von Prof. Reichetseder auf die SHIP News „Neue Zahlen zum Versagen von Bohrungen“

30.10.2014

Grundwasserschutz

Ein zentrales Thema für alle konventionellen und unkonventionellen Öl- und Gasbohrungen ist „Well Integrity“. Wenn von „Versagen von Bohrungen“ im Zusammenhang mit der Produktion von Shale Gas gesprochen wird (siehe SHIP News), dann steht dahinter die Annahme, dass entweder die Verbindung durch das Bohrloch zwischen der gasführenden Formation (Shale, oder poröse Formation) und den Obertageanlagen undicht ist, oder dass Gas aus Formationen, die durchteuft wurden d.h. nicht primär förderwürdig sind, wegen fehlender Abdichtung über Migrationswege in höhere Stockwerke (z.B. Grundwasser) wandern oder an der Oberfläche austreten.

Verrohrung und Zementation sind neben den Absperreinrichtungen am Borlochkopf die fundamentalen Sicherheitsbarrieren, die die Dichtheit von Bohrungen bzw. die Trennung zwischen Formationen (mit unterschiedlichen Medien und Drücken) herstellen sollen. Im Aufsatz von Prohaska und Thonhauser (2012) werden die grundsätzlichen Fehlermechanismen sowie die Best Practices zu Verrohrung und Zementation behandelt.

Da permanente Messungen auf Online-Basis im Bohrloch nicht verfügbar sind, bleiben nur Daten und Beobachtungen an der Oberfläche (z.B. Ringraumdruck), die – neben den Messungen und Testen während der Herstellungsphase der Bohrung - eine erste Indikationen für Unregelmäßigkeiten liefern können. Im Zuge der wissenschaftlichen Diskussion über Umweltrisiken bei der Shale Gas Produktion wurden von verschiedenen Forscherteams jedoch hauptsächlich statistische Auswertungen von solchen Indikationen und Beobachtungen vorgenommen, mit sehr großen und gelegentlich sogar noch „steigenden“ Fehlerraten. Es lohnt sich daher, den Stand der Erkenntnisse in Ergänzung zum Aufsatz in SHIP „Neue Zahlen zum Versagen von Bohrungen“ genauer zu betrachten:

  1. Die letzte Studie von Darrah et al (2014) hatte zum Ergebnis, dass kein Nachweis für eine Verbindung von „Fracking“ im Shale und Grundwasser (weder im Marcellus noch im Barnett Shale) gefunden werden konnte! Dies wurde immerhin mehrere Jahre als Primärhypothese verfolgt (siehe Davies 2011 und Jackson et al 2011).
  2. Es wurden jedoch von Darrah et al (2014) mehrere Bohrungsgruppen ausgemacht, bei denen die „Stray Gas“ Formationen (zwischen Grundwasser und Shale) über undichte Ringräume oder auch defekte Casings als Verursacher für Grundwasser-Kontamination identifiziert wurden. Letzteres gilt nach Studien der Texas RRC (2014) nicht für alle Fälle als erwiesen. 
  3. Im Gegensatz zu den in SHIP News zitierten sehr hohen Fallzahlen von „Lecks an Bohrungen“ werden von kompetenten Autoren wesentlich niedrigere Zahlen genannt: Das US Groundwater Protection Council (GWPC 2011) berichtet Fehlerraten von Bohrungen (Well Integrity) von 0,03% (Ohio) und 0,01% (Texas); für Pennsylvania werden Zahlen von 0,33% angeführt (auf Basis von PA DEP Daten). King & King (2013) führen sehr niedrige Fehlerraten von 0,005 bis 0,03% für alle Öl-, Gas- und Injektionsbohrungen an. 
  4. Die plausibelste und - in Konsequenz durch die seit etwa 2012 deutlich verschärften US-Richtlinien für Bohrungsdesign und Zementation (z.B. Ohio 2014) - inzwischen abgestellte Hauptursache wurde durch das „billige“ Verrohrungsschema, d.h. ohne Zwischenrohrtour, nur Ankerrohrtour und Produktionsrohrtour, erkannt. Die neuen Richtlinien in den USA sind m.E. in Europa gar nicht erforderlich, weil vorhanden. Als Beispiel seien die UK-Richtlinien (Oil & Gas UK 2012) mit sehr klaren und stringenten Vorschriften genannt. Cuadrilla (2014) zeigt in ihrem Well Integrity Management den Mechanismus des Best Practice Well Designs beispielgebend auf.
  5. Die Zahlen von Vidic, Ingraffea, Davies mit dem Titel „Versagen von Bohrungen“ oder als „Störfälle“ zu bezeichnen ist m. E. nicht plausibel. Es sind zunächst Symptome, die aber nicht mit einem „Versagen“ von Bohrungen gleichgesetzt werden dürfen. Fig. 6 in Davies (2014) zeigt sehr deutlich unterschiedliche Kategorien mit entsprechend unklaren Bedeutungsinhalten: gas migration 0,5%, blowouts & venting 0,9%, hingegen: cement & casing 8,7% (?).

Man könnte dies zunächst als „Versagen einer Barriere“ definieren, nicht aber generell als Versagen von Bohrungen. Die Analyse dieser „Symptome“ ist komplex wegen ihrer Mehrdeutigkeit:

  • Sustained Casing Pressure (SCP), d.h. anhaltendere Ringraumdruck, kann z.B. auch durch Temperaturanstieg bei der Förderung verursacht sein. Solange ferner nur eine von mehreren Barrieren verletzt ist, ist dies noch kein Versagen der Bohrung.
  • Die Probleme in Pennsylvania sind ausserdem stark regional gehäuft im NE, wo shallow gas („stray gas“) durchgehend (auch in vielen Wasserbohrungen aus der Zeit vor der Gasproduktion) angetroffen wird. 
  • Statistische Analysen beziehen sich nur auf die Historie und die damals geltenden Vorschriften und verwendeten Techniken. Die neuen Richtlinien zu Casing-Design und Zementation (siehe 4.) zielen genau auf Beseitigung dieses erkannten Problems. Ingraffea et al (zuletzt 2014) tun aber so, als hätte sich im Design bzw. in der Ausführung von Bohrungen nichts geändert. Hierzu King & King (2013): „Failure rates of well barriers and well-integrity failures, measured on wells constructed in a specific time period, are artefacts of that era; they are not identical to failure rates of wells designed later“.

Die Plausibilität von deutlich höheren Problemen bei unkonventionellen gegenüber konventionellen Bohrungen kann im Grunde nur regional (gasführende Formation) und temporär (früher: einfaches Verrohrungsschema) sein.


Über den Autor:

Prof. Reichetseder war von 2001 - 2003 Professor für "Erdgasversorgung, Erdöl- und Erdgastechnik" am Institut für Erdöl- und Erdgastechnik an der TU Clausthal tätig. Davor und danach arbeitete er als Leiter des Geschäftsbereichs Exploration und Produktion bzw. als technischer Geschäftsführer bei Erdöl und Erdgas Unternehmen. Durch seine langjährigen Tätigkeiten im Bereich der Forschung und Industrie verfügt Hr. Reichetseder über fundiertes Wissen sowie umfangreiche Erfahrungen über die angewandte Technologie.


Literatur:

Cuadrilla 2014: Well Integrity – Cuadrilla Land Based Wells. www.cuadrillaresources.com/wp-content/uploads/2012/02/DrillingPage-Well-Integrity-Document.pdf

Darrah T. H., Vengosh A., Jackson R. B., Warner N. R., Poreda R. J. 2014: Noble gases identify the mechanisms of fugitive gas contamination in drinking-water wells overlying the Marcellus and Barnett Shales. Proceedings of the National Academy of Sciences, September 15, 2014, doi: 10.1073/pnas.1322107111

Davies, R.J., 2011. Methane contamination of drinking water caused by hydraulic fracturing remains unproven. Proceedings of the National Academy of Sciences 108, E871.

Davies, R. J., Almond, S., Ward, R. S., Jackson, R. B., Adams, Ch., Worrall, F., Herringshaw, L. G., Gluyas, J. G., Whitehead, M. A. 2014: Oil and gas wells and their integrity: Implications for shale and unconventional resource exploitation. Marine and Petroleum Geology (2014)

GWPC 2011: State Oil and Gas Agency Groundwater Investigations And Their Role in Advancing Regulatory Reforms. Ground Water Protection Council, Ohio and Texas, Aug. 2011

Ingraffea A. R., Wells M. T., Santoro R. L., Shonkoff S. B. C. 2014: Assessment and risk analysis of casing and cement impairment in oil and gas wells in Pennsylvania, 2000 – 2012. Proceedings of the National Academy of Sciences, Vol. 111 (30), 2014, 10955-10960

Jackson, R.B., Osborn, S.G., Vengosh, A., Warner, N.R., 2011. Reply to Davies: Hydraulic fracturing remains a possible mechanism for observed methane contamination of drinking water. Proceedings of the National Academy of Sciences 108, E872.

King, G.E., King, D.E., 2013. Environmental Risk Arising from Well-construction Failure e Differences between Barrier and Well Failure and Estimates of Failure Frequency across Common Well Types, Locations and Well Age. SPE 166142. 

Ohio 2014: Comparison of well construction standards. Ohio Drilling Regulations, www.capitolintegrity.com/documents/OhioDrillingRegulations.pdf

Oil & Gas UK 2012: Well Integrity Guidelines. Issue 1, July 2012. Oil and Gas UK 2012b, OP069, Available for purchase online, www.oilandgasuk.co.uk/cmsfiles/modules/publications/pdfs/OP069.pdf

Prohaska, M., Thonhauser, G. 2012: The Importance of Wellbore Integrity for Groundwater Protection in Shale Gas Well Construction. June 22, 2012

RRC 2014: Water Well Complaint Investigation Report, Silverado on the Brazos Neighborhood, Parker County. Railroad Commission of Texas, May 23, 2014



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